Rückzug auf Raten – Management strategischen Wandels: Eine retrospektive Längsschnittstudie am Beispiel der ChemCo.
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Zitationsvorschlag

Rückzug auf Raten – Management strategischen Wandels: Eine retrospektive Längsschnittstudie am Beispiel der ChemCo. (2016). Junior Management Science, 1(1), 60-99. https://doi.org/10.5282/jums/v1i1pp60-99

Abstract

Nicht zuletzt haben die Neuordnung der weltweiten Chemie-Branche infolge von M&A-Aktivitäten und die aktuelle Konsolidierungswelle gezeigt, wie Traditionskonzerne vermehrt wichtige Teile der Unternehmenswurzeln kappen oder in eine „bessere Heimat“ überführen. Angesichts der fortschreitenden Commoditisierung von Kernmärkten und verstärkter Konkurrenz aufstrebender Schwellenländer, trennen sich Unternehmen häufig von weniger rentablen Geschäftssparten, um sich voll und ganz auf lukrative Geschäfte zu konzentrieren und die eigene Zukunft zu sichern. Dass Anpassungen an veränderte Markt- und Wettbewerbsbedingungen und damit verbundene radikale Schnitte häufig auch „zögerlich“ verlaufen können, führt die vorliegende Fallstudie der ChemCo vor Augen. In dem Bemühen verschiedene Wirkungsmechanismen zum spezifischen Zustandekommen eines sukzessiven, über einen Zeitraum von 13 Jahren langfristig vollzogenen „Rückzugs auf Raten“ aufzudecken, werden Rückzugsstrategien innerhalb einer retrospektive Längsschnittstudie unter ihrem Potential zur Implementierung strategischen Wandels untersucht und spezifische Phänomene von Trägheit in den Vordergrund gerückt.

Entgegen ihrer praktischen Relevanz werden Rückzüge als eigenständiges strategisches Werkzeug zur Neuausrichtung in der Managementforschung wenig thematisiert und oft als bloßes Spiegelbild zu M&A-Transaktionen als eine Maßnahme innerhalb Restrukturierungsprogrammen betrachtet. Analysen ist vorrangig eine rein statische Sichtweise zugrunde gelegt. Um tiefergehende Einblicke in das Prozessgeschehen zu gewinnen wurde innerhalb einer retrospektiven Längsschnittstudie auf eine bestimmte Produktgruppe eines deutschen Chemieunternehmens fokussiert und die Geschäftstätigkeit, von den Anfängen im Familienbetrieb bis zum Aufgang im internationalen Großkonzern, untersucht. Die Analyse war darauf gerichtet ein genaueres Bild über spezifische Merkmale und Einflussfaktoren von Rückzugsprozessen zu erlangen und einen Beitrag zu einem besseren Verständnis von Wandlungsbarrieren in der Strategieimplementierung zu leisten.

Basierend auf einer Reihe von problemzentrierten Interviews sowie vielfältigen Dokumentationen und Archivdaten unterschiedlicher Bestände wurden die forschungsleitenden Fragestellungen explorativ untersucht. Unter Zuhilfenahme von Techniken der Grounded Theory werden Formen und Ursachen augenscheinlicher Beharrungstendenzen aus verschiedenen Positionen der Organisationstheorie analysiert. Im Zusammenwirken der Wandlungsbarrieren können verriegelnde Prozesse und dominante Entscheidungsmuster im Rückzugsverlauf aufgedeckt und eine eingetretene „Lock-In-Situation“ ermittelt werden. Erst unter spezifischen Bedingungskonstellationen konnten nachgewiesene Rigiditäten erfolgreich durchbrochen und ein letztlich vollständiger Ausstieg aus schrumpfenden Kerngeschäften langfristig vollzogen werden. Unterschiedliche Konzeptionen der Organisationstheorie, insbesondere Arbeiten zur Pfadabhängigkeit, liefern hierzu wichtige Erklärungsansätze. Damit wird nicht der Anspruch einer Generalisierbarkeit verfolgt, sondern ein Einblick in die Vielschichtigkeit und Multikontext-Probleme des Feldes strategischer Wandelprozesse angestrebt.

Die Forschungsergebnisse erhellen grundlegend das Verständnis für verschiedene Wirkaspekte, welche im Rahmen der Wandlungsvorhaben begrenzenden Charakter besitzen und im Fallgeschehen zu langfristigen Ineffizienzen führten. In Verbindung mit analysierten Verknüpfungen zwischen strategischen Prozessen und Veränderungen des organisationalen Kontext, wird hierbei die Ambivalenz beeinflussender Faktoren, die einerseits als Treiber des Wandels erscheinen, sich gleichsam aber auch in Trägheitstendenzen äußern und zu Pfadabhängigkeiten führen können verdeutlicht. Es wird die Abkehr einer isolierten Betrachtung von Strategie- und Wandelprozessen und Integration einer dynamischen Dimension zum besseren Verständnis von Strategieprozessen betont, wie in der Strategieprozessforschung gegenwärtig verstärkt propagiert.

Keywords: Strategischer Wandel, Rückzugsstrategien, Corporate Restructuring, Organisationale Trägheit, Pfadabhängigkeit

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